INSECTION

Hannah Zufall

 

 

Figuren 

 

Motte

Wanze

Fruchtfliege

Gottesanbeterin

Engerling

Ameise

Tausendfüßler

Kakerlake

Wespe

Mücke

Seidenspinner

Nagekäfer

I. Veilchenblauer Wurzelhalsschnellkäfer (abgekürzt mit I. VWK)

II. Veilchenblauer Wurzelhalsschnellkäfer (abgekürzt mit II. VWK)

 

Als reine Audio-Stimmen:

General

Kriegsstrategin

Kammerjägerin

Politiker

 

 

Weiterhin Tänzer:innen und ein A cappella Chor.

 

 

I. Eröffnung

 

Wanze und Motte geben gestresst Anleitungen, was die anderen Insekten tun sollen. Sie bemerken die Zuschauer:innen nicht. Der Nagekäfer brummt und redet derweil vor sich hin. Dann werden die anderen nach und nach auf ihn aufmerksam.

 

Wanze                      Wo sind denn die Schmetterlinge? Die wurden doch eingeladen, Motte?

Motte                        überhört das. Wie sieht das denn aus? Kannst du hier noch ein wenig den Boden lecken?

Wanze                      zu irgendwem. Was machst du da?! NEIN, doch nicht so…

Motte                        Oh oh oh…

Nagekäfer                Der Nagekäfer, der den Sommer lang… klopft‘ und sang…

Wanze                      zu irgendwem. Nichts zu ungut, aber vielleicht polierst du dir deine Flügel nochmal ein bisschen? Da klebt noch Erde…

Motte                        Licht! Wir brauchen mehr Licht!

Nagekäfer                Er litt, da nun der Winter droht, harte Zeit und bittre Not…

Wanze                      Wo ist der Wein für die Fruchtfliege? Wehe, wenn den schon jemand getrunken?

Motte                        Wer hat denn hier hingepinkelt? Kann das mal wer wegwischen? Wie sieht das denn aus?

Wanze                      So und jetzt aufstellen! In Reih und Glied!

Nagekäfer                Der Nagekäfer, der den Sommer lang klopft‘ und sang, litt, da nun der Winter droht, harte Zeit und bittre Not –

Wanze                      So ein Blödsinn! Es war die Wanze, nicht der Nagekäfer!

Nagekäfer                I wo, es war der Gescheckte Nagekäfer. Das weiß doch jede Made –

VWK II                      I wo! Es war genauso, wie der Nagekäfer sagt –

VWK I                       Und vor Hunger schon ganz leise, schleicht er zur starken Ameise…

VWK II                      Und fleht sie an in seiner Not, ihm zu geben ein Stückchen Brot.

Engerling                  Hä, aber ihre Nagekäfer esst doch Holz und kein Brot…?

Nagekäfer                Das ist metaphorisch gemeint! Lern du erstmal den Kanon kennen, bevor du hier dazwischen brabbelst, du Frischgeschlüpfter, du!

VWK I                       Die Ameise, die ihr Geld nicht gern verleiht, fragt‘ den Nagekäfer nur:

Ameise                     Zur Sommerzeit, sag doch, was hast du da getrieben?

Nagekäfer                Tag und Nacht hab‘ ich gesungen, für alle ist meine Lied erklungen.

Ameise                    Gesungen? Da hab‘ ich mich abgehetzt! Weißt du was? Dann tanze jetzt!

Kakerlake                Lächerlich. Als ob Nagekäfer singen, sie klopfen doch nur – Es war die Kakerlake, nicht der Nagekäfer!

Nagekäfer                Klar, was ist berühmter als der wunderschöne Gesang der Kakerlaken?!

Gottesanbeterin       Es war die Lerche, nicht die Nachtigall!

Ameise                    Darf ich mal, ich war immerhin dabei –

Tausendfüssler        Wohl eher deine Urururururur-Vorfahrin.

Ameise                    Es war trotzdem die Grille.

Nagekäfer               Pfff – in der klassischen Erzählung vielleicht. Aber in der modernen Fassung, da geht die Geschichte ganz anders!

Engerling                Oh ja! Wie aufregend! Und wie geht sie?

VWK II                      Der Nagekäfer wurde ernst und sprach zur Ameise:

Nagekäfer                Aber weißt du nicht, dass es unser letzter Sommer war? Das große Sterben begann. Mein Lied war ein Klagegesang. 

                                Und der Tanz, den du verlangst, wird ein Totentanz und fällt mir schwer. Kleine Freundin, auch du lebst bald nicht mehr.

Ameise                     Da wäre ich nicht so pessimistisch. Ich habe ein Heim, da werde ich sicher sein.

Nagekäfer                Dort hinten eilt ein Junge Mit einem Stock heran. Damit er dich besser ärgern kann.

Ameise                     Ich habe eine große Familie, sie wird ihn beißen.

Nagekäfer                Sie spritzen euch alle tot. Die meisten von uns werden fallen. Weit mehr als die Hälfte sind schon verloren.

Ameise                     Du klingst, als wären wir im Krieg.

Nagekäfer                Es ist Krieg. Schon seit Menschenbeginn an. Hast du es nicht mitbekommen? Doch jetzt gerät er völlig aus der Form. Selbst der Reim ist gestorben.

Ameise                     Du machst mir Angst. Komm herein und trinke einen Schluck Blattlausmilch mit mir. Die Menschen sind erst seit einem Wimpernschlag da und bald auch wieder fort.                                       Wir hingegen –

Nagekäfer                Deine Milch ist vergiftet, Ameise. Mit Pestiziden.

Ameise                     Werde nicht paranoid.

Nagekäfer                Hast du meinem Lied nicht gelauscht?

VWK I                       Hier nun greift die Ameise demonstrativ nach dem Becher Blattlausmilch und trinkt ihn in großen Schlucken leer.

VWK II                      Plötzlich krampfen ihre Glieder, die Augen groß und schreckstarr, Schaum vor den kleinen Mundzangen, fällt sie zu Boden.

VWK I                       Der Nagekäfer seufzt und klopft ein Totenlied.

Ameise                     Ich protestiere! Ich sterbe natürlich nicht! Von wem soll dieser neue Klassiker stammen, mhm? Das hast du dir doch nur ausgedacht, um eine Rolle darin zu haben!

Gottesanbeterin       Ich finde die neue Version sehr stimmig.

Nagekäfer                Und wer könnte sie besser erzählen als ich? Sterben die Grillen aus oder die Gescheckten Nagekäfer, hm?

Motte                        Nein, nein, nein…! Wir wollten doch aber nicht so pessimistisch sein…

Ameise                     Genau! Die Menschen hier, die sollten eh ganz andere Dinge nachdenken.

Nagekäfer                Ach ja, über was für andere Dinge denn?

Wanze                     blickt zum Publikum. Herrje! Die sind ja schon da! Husch, husch – alle krabbeln auf ihre Plätze! Der Chor bitte!

 

Die Insekten überlegen.

 

Der Chor singt „El Grillo“.

 

Chor                         

El grillo, el grillo è buon cantore

Che tiene longo verso

Dalle (dalle) beve (beve) grillo (grillo) canta (canta)

Dalle dalle, beve beve, grillo grilo, canta

El grillo, el grillo è buon cantore

Ma non fa come gli altri uccelli

Come li han cantato un poco

Quando la maggior el caldo  

Alhor canta sol per amore

El grillo, el grillo è buon cantore

Che tiene longo verso

Dalle (dalle) beve (beve) ts-tss (ts-tss) ts-tss (ts-tss)

Dalle dalle, beve beve, grillo grilo, canta

El grillo, el grillo è buon cantore

Van de fatto in altro loco

Sempre el grillo sta pur saldo

Quando la maggior el caldo

Alhor canta sol per amore

 

Wanze und Motte sind auf der Bühne, die anderen Insekten im Publikum verteilt.

 

Wanze                       Guten Abend, liebe Menschen! Es freut uns über die Maßen, Sie heute hier begrüßen zu dürfen. Dass Sie so zahlreich gekommen sind, das macht Mut!

 

Ameise, Fruchtfliege und Nagekäfer pfeifen begeistert.

 

Fruchtfliege              klatscht. Bravo!

Motte                        Nein, wirklich. Es freut uns. Sehr.

Wanze                      Ohne aus der Mücke einen Elefanten machen zu wollen, hat es ja einen ganz besonderen Grund, dass Sie hier sind. Denn wir wollen Ihnen Schmetterlinge im Bauch                                      machen, Sie seidig einspinnen und für Sie die Fliege machen! Wir werden endlich Gehör finden! 

 

Die anderen Insekten jubeln wieder. 

 

Motte                        Denn wissen Sie, ansonsten hören wir Ihnen ja immer zu. Wir sitzen hinter den Tapeten, wir hocken in Ihren Kleiderschränken. 

Wanze                       Das klingt jetzt so… naja, aber so als Wanze, da wanzt man sich eben an.

Seidenspinner          ruft rein. Wir strecken die Fühler aus!

Mücke                       ruft rein. Wir fliegen auf euch! 

Engerling                  Yeah!

Motte                        Wir haben den Menschen wirklich sehr lange gelauscht. Wir wissen, dass die meisten von Ihnen keine liebevolle Beziehung zu uns kleinen Krabbeltieren haben.

Nagekäfer                 Aber auch der Mistkäfer ist in den Augen seiner Mutter eine Schönheit.

Motte                        Ja, ja vielleicht finden Sie ja Bienen sympathisch und, klar, Marienkäfer und und und Schmetterlinge (hat Probleme „Schmetterlinge“ auszusprechen), aber –

Wanze                       unterbricht leicht nervös. Aber das ist ok, wirklich, wir haben uns damit abgefunden. 

Kakerlake                 Wir bleiben trotzdem treu an eurer Seite.

Motte                        Aber die Lage hat sich geändert. Dramatisch geändert. Wir haben Beweise gefunden, dass manche von Ihnen uns ganz und gar ausrotten wollen! 

Wanze                        räuspert sich. Also, nicht Sie hier im Raum, nein, aber andere Menschen. Menschen mit Einfluss.

Motte                        Und diese Menschen sind sehr erfolgreich – siebzig Prozent von uns sind schon weg! Siebzig Prozent. Wir haben eine Aufzeichnung davon, wie –

Wanze                       unterbricht wieder. Wir haben Ihnen das geheime Material gestern zugeschickt. Haben Sie es alle bekommen? Woher das Beweisstück genau stammt, können wir                                         jetzt leider nicht verraten. Eine abenteuerliche Geschichte, aber wir zwei, die Motte und die Wanze, wir haben mit einem ausgeklügelten Abhörverfahren alles                                                   aufgezeichnet. 

 

Die anderen Insekten klatschen.

 

Motte                        Es gibt Menschen, die uns auslöschen wollen. Die Ausmaße sind immens – auch für Sie Menschen. Stellen Sie sich vor, die Pflanzen würden nicht mehr bestäubt                                           werden. Klar, das können auch Robobees, Bienenroboter übernehmen, wie man sie gerade in den USA und den Niederlanden testet, aber was ist, wenn da die                                               Batterie ausfällt?

Gottesanbeterin       Die Welt wird ohne uns kläglich zugrunde gehen.

I. VWK                       Nie wieder das Summen der Bienen!

II. VWK                      Nie wieder Schmetterlinge im Garten!

Motte                         Nur noch das seelenlose Surren der Elektrik, kalte Künstlichkeit, wohin das Auge schaut! 

Gottesanbeterin        ruft hinein. Sie werden uns noch schmerzlich vermissen! 

Wanze                        Na na, wir wollen nicht so negativ denken, oder? Denn was viel spektakulärer ist: Wir haben erfahren, dass es auch Menschen gibt, die uns helfen wollen! Ja,                                                 wirklich! Es gibt Hoffnung. Und deswegen sind wir hier. Kommen Sie näher! Wir laden Sie ein, in unsere Welt zu krabbeln. Wir zeigen Ihnen alles, denn wir brauchen                                      Sie! Jeden und jede von Ihnen. Die Motte und ich haben keine Mühe gescheut, sind ausgeschwärmt, in die letzten verborgenen Winkel gekrochen, um weitere                                               Insekten ins Rampenlicht zu holen. 

Motte                        Nun gut, das war nicht sooo schwer, die mögen ja das Licht, jedenfalls manche von ihnen. 

I. VWK                       Ich weiß gar nicht, was sie meint!

 

Die anderen Insekten kichern.

 

Motte                         Nun ja, mit manchen war es aber auch schwierig. Wir Insekten sind eben sehr beschäftigt. Die Persönlichkeit, die gleich zu Ihnen sprechen wird, ist überhaupt nur da,                                     weil wir sie mit einem sehr guten Jahrgangswein erpres- 

Wanze unterbricht.    Ha ha! Die Motte macht nur Witze. Ich sage Ihnen: Sie werden gleich eine mehrfache, hochseriöse Nobelpreisträgerin treffen! Immer busy, die Gute. Lassen Sie sich                                       ein auf das schillernde Abendprogramm, auf das Gewusel mit sechs Beinchen. Wir laden SIE ein in die fantastischen Welten einladen, in denen wir leben! 

Motte                         Vorhang auf für die Fruchtfliege! 

 

Divenhafter Auftritt. Die Fruchtfliege beginnt, „Respect“ von Aretha Franklin zu singen.

Der A Capella Chor unterstützt die Fruchtfliege als Background-Chor. 

 

Fruchtfliege          

What you want
Baby, I got
What you need
Do you know I got it?
All I'm askin'
Is for a little respect when you come home (just a little bit)
Hey baby (just a little bit) when you get home
(just a little bit) mister (just a little bit)
I ain't gonna do you wrong while you're gone
Ain't gonna do you wrong (oo) 'cause I don't wanna (oo)
All I'm askin' (oo)
Is for a little respect when you come home (just a little bit)
Baby (just a little bit) when you get home (just a little bit)
Yeah (just a little bit)…

 

Ich habe wirklich lange genug gewartet. Darauf, dass man mir einen Tempel errichtet. Auf ein demütig dargebrachtes Stück Fruchtfleisch. Meinetwegen auch nur auf ein Lächeln, wenn wir uns begegnen. Stattdessen schlägt man nach mir, sobald ich zart beflügelt herbei schwebe.

I. VWK                       Ihr Barbaren!

II. VWK                     Ihr Undankbaren!

Bin ich nicht Drosophila, die Morgentauliebende? Hier seht ihr Poesie auf sechs Beinen. Ich bin die Königin eurer so hoch geschätzten Wissenschaft, die Herrscherin der Labore und Trägerin von sechs Nobelpreisen. Und wem widme ich mein Dasein?

ALLE                         Euch.

Und wem widmen seit hundert Jahren unzählige Artgenossinnen und Leidensgenossinnen all ihr Schaffen?

ALLE                         Euch.

Wir schenken euch unser Leben in den Versuchslaboren dieser Welt.

 

Allgemeine Zustimmung. Die Fruchtfliege macht sich eine Flasche Rotwein auf. 

 

Schaut nicht so. Ihr würdet jetzt doch auch gern ein Gläschen haben. Aber da ihr ja auch nie teilen mögt und über alles Obstnetze spannt – was soll ich sagen? 

 

Sie will sich eingießen, schaut die Menschen an, stoppt.

 

Oder wartet ihr nur darauf, dass ich mich betrinke, damit ihr mich dann totschlagen könnt?

Ich warte lieber. Bis ihr wieder weg seid. Sicher ist sicher.

Wenn die Gesellschaft einen für ‘ne träge, faule, saufende Nervensäge hält, dann wird man es irgendwann auch. Doch es war mal anders! 

 

Bewundert sich selbst in der Spiegelung des Weinglases. Freut sich an ihrem Anblick.

 

Einst gewann ich Schönheitswettbewerbe mit meinen großen roten Augen. Einst knickste man vor mir und lud mich zum gärenden Obst ein und ließ mich in Bierpfützen schwimmen, solange ich wollte.

Lange her. Sehr lange her. Ist unter uns Fruchtfliegen auch eher so ein Gerücht. Ein Märchen, das man abends den tausendundeinen Nachkommen erzählt, die überall herumwuseln.

Ja, warum verzieht ihr da das Gesicht? Wir vermehren uns nun einmal rasend schnell. Davon profitiert ihr doch in den Laboren! Dank der mit Hochgeschwindigkeit gezeugten Nachkommen könnt ihr alles mit uns machen – schadet ja nix, wenn unzählige dabei draufgehen.

Ihr habt unsere Gene vollständig entschlüsselt, um typische Erbkrankheiten zu erforschen. Ihr habt uns mit Strahlungen gegrillt. Aber nicht, um uns zu verstehen, nein, euch wollt ihr erforschen! Dank der Fruchtfliege versteht ihr euren Jetlag, Parkinson, Krebs und Schlaflosigkeit besser. Gähnt.

Wenn wir ein Problem haben, dann schlafen wir ‘ne Runde, so wie ihr, danach sind wir noch kreativer, klüger und… und…

Engerling                – ausgeschlafen eben!

Fruchtfliege           Wenn man uns Kaffee serviert (also ich trinke ja am liebsten Cortado, aber da ist natürlich jede Fruchtfliege anders!), werden wir wacher. Nehmen wir Schlafmittel oder trinken wir Rotwein, werden wir müde. Alles wissenschaftlich nachgewiesen worden, indem man uns tagelang wachgerüttelt hat. Nur damit ihr den Nutzen EURES Schlafs besser versteht. Und ohne meinen Schönheitsschlaf konnte ich natürlich keine Wettbewerbe mehr gewinnen. Für euch musste ich meine vielversprechende Karriere als Modell aufgeben!

Deswegen, meine Lieben –

 

Singt:                          R-E-S-P-E-C-T

 

Wir sind uns nämlich verdammt ähnlich, ob es euch passt oder nicht. Genetisch jedenfalls. Wobei, wenn ich euch so ansehe… nee, selbst beim besten Willen nicht. Keine optische Ähnlichkeit. Gott sei Dank! 

Man stelle sich mal vor, ich würde wie ihr durch die Welt laufen müssen. Wie peinlich. So eine blasse, graue schwammige Hülle. Weich und speckig. Nur zwei Beine! Und dann ist das ganze Fleisch außen um das Skelett gewickelt?! Völlig absurd. Irgendwie eklig... Zu allem Überfluss dieser große Kopf, der wiegt doch fast 5 Kilo, oder? Das passt überhaupt nicht mit diesen kleinen, bösen stecknadelartigen Augen zusammen. Unter dem klafft dann da noch so ein fleischiger rötlicher Streifen mit so weißen Hauern… was hat sich Mutter Natur nur dabei gedacht?

So was kommt doch sonst nur in der Tiefsee vor, aus gutem Grund geschützt vor den Augen der anderen.

Stattdessen habt ihr euch genauso gut verbreitet wie wir. Auch wir kommen überall vor, außer in der Arktis. Seht ihr, Wieder eine Verhaltensähnlichkeit. Neben der Vorliebe für Alkoholisches. 

 

Sie ist kurz davor, einen Schluck Wein zu nehmen, doch das Misstrauen gegenüber den Menschen überwiegt.

Ich hab‘ in der Zeitung auf dem Küchentisch gelesen, dass menschliche Männchen, die zu viel trinken, aufdringlich und sexbesessen werden. Same here. Unsere Männchen trösten sich mit Alkohol, wenn sie keine Weibchen bekommen.

Denkt daran, wenn ihr mich das nächste Mal totschlagen wollt.

Mücke                         Es wird die Zeit kommen, da das Verbrechen am Tier genauso geahndet wird wie das Verbrechen am Menschen.

Fruchtfliege                Eure Vorfahren nannten mich noch Taufliege. Wie kann man eine so glutäugige, potente Weinliebhaberin nur so schnöde abtun? 

 

Bewundert sich wieder im Weinglas.

 

Ich sag’s euch – sechs Nobelpreise – ich bin ‘nen Sechser im wissenschaftlichen Lotto. Echt ma. Alles, was ich will, ist… ist, mhm. 

 

Singt:                          

What you want
Baby, I got
What you need
Do you know I got it?
All I'm askin'
Is for a little red wine when you come home (just a little bit)
Hey baby (just a little bit) when you get home
(just a little bit) mister (just a little bit)…

 

Nur ein Schlückchen! Könntet ihr jetzt also BITTE ENDLICH GEHEN?

 

Wanze                        Äh ja, lassen Sie uns aufbrechen, verehrtes Publikum. Wir haben die kostbare Zeit der Fruchtfliege lange genug beansprucht. 

Motte                         Nun geht es los, lassen Sie uns ausschwärmen…!

 

Publikum und Figuren brechen auf. Während des Weges:

 

Ameise                      Jetzt mal sechstes Beinchen aufs Herz, wen von uns finden Sie am hübschesten?

Tausendfüssler         Haben Sie auch schon mal versucht, die Welt zu retten? Und würden Sie das heute wieder tun?

Engerling                  Ich bin ja noch ganz neu, gerade erst geschlüpft, das ist alles soooo aufregend hier. Und gleich in der ersten Lebensstunde Menschen treffen! Hach.

                                 Wie viele Stunden leben Sie denn schon? Und wie viele haben Sie noch vor sich, bevor sie gefressen werden?

Nagekäfer                Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten, aber alle Professoren dieser Welt können keinen herstellen.

Kakerlake                 Kennen Sie “Green Porno” von Isabella Rossellini? Genau, das ist die Schauspielerin. Ich habe mich gerade noch in Rom mit ihr getroffen - wissen Sie,

                                 dank mir hat sie den Libellensex an einer Freundin von mir studieren können für “Green Porno”. Die Libelle treffen sie gleich noch. Sie will eigentlich nicht mitmachen                                     hier, aber immerhin ist sie durch mich berühmt geworden und schuldet mir was.

Gottesanbeterin      Was macht Ihr Fortpflanzungstrieb heute? Wie geht es Ihrem Körper? Was macht die Verdauung und was der Hunger?

Nagekäfer                Mich trifft das alles hier ja ganz besonders, wissen Sie. Es ist zum Aussterben. Da ist man von Natur aus schon so gut wie blind und spielt von Stunde Null an                                                Topfschlagen miteinander und dann wird man im Alter auch noch schwerhörig. Will ja nicht jammern, aber so als alter, taubblinder Käfer, dem noch das letzte Stück                                         Heimat geraubt wurde, hat man’s schon nicht einfach. Ach, alter Schaukelstuhl, ruhe dein Holz in Frieden. Dieser Duft, der selige Geruch von altersweichem Holz mit                                    diesem herben Aroma von Wald und alten Geschichten.  

Gottesanbeterin     

Sie werden bald kommen. Aber nicht lange. Nutzen Sie die Gunst des Augenblicks.

Sie da! Auch Sie werden kommen. Während eines kurzen Flirts auf dem Fahrrad. Nutzen Sie die Gunst des Augenficks.

Sie hingegen werden lange keinen Orgasmus haben. Es tut mir leid. Dafür wird er dann aber lang sein. Und wenn ich lang sage, dann meine ich sehr lang.

 

Fruchtfliege              Wie viele Fliegen hast du eigentlich schon getötet? Nur so schätzungsweise?

Seidenspinner          Ich bin ja eher schüchtern, scheue das Rampenlicht, aber nun bin ich doch hier. Denn Schweigen ist Silberfisch, Reden ist Goldfisch, nicht wahr?

Wespe                      Nachts träume ich immer davon, wie mich eine Windschutzscheibe zermatscht.  

Seidenspinner          Glauben Sie, dass Sie Ihre Meinungen und Gewohnheiten gut ändern könnten. So auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 “absolut gar nicht” und 10 “auf jeden Fall,                                            gleich jetzt” heißt.

Fruchtfliege              Es gibt da diesen Spruch: Ich wünsche dir die Kraft, die Dinge zu ändern, die man nicht aushält und Wein für die Dinge, die man nicht ändern kann.

I. VWK                       Kennen Sie das? Sie schauen in den Spiegel und sehen sich und denken, boah nee, das ist aber übel. Sie können sich selbst überhaupt leiden. 

Fruchtfliege              Spieglein, Spieglein in der Hand, ich bin die Schönste im ganzen Land!

II. VWK                     Aber vielleicht sind Sie das ja auch gar nicht? Vielleicht ist der Spiegel nur das Abbild von etwas, das bereits hinter Ihnen liegt und das Sie überwunden haben. 

I. VWK                       Weil Sie besser sind, als das, was Sie da sehen. 

II. VWK                     Nur weil da etwas so aussieht wie Sie, sind Sie noch lange nicht das, wonach es aussieht.

I. VWK & II. VWK    Verstehen Sie?

Seidenspinner         

Das ist der seidene Faden, an dem meine Familie hängt. Als nur die kaiserliche Familie Seide tragen durfte, da ging es ja noch. Aber jetzt – all die Kleidung, die Fahrradreifen und der chirurgische Nähfaden! Dieses Jahr sind wieder 100 Milliarden Seidenspinner für Seide gestorben. Sie tragen übrigens eine sehr schöne Bluse – keine Sorge, ich bin an den Anblick gewöhnt. 

Wespe                       Ich sag ja immer: Besser eine Laus im Kraut als gar kein Fleisch.

 

II. Im Museum

 

Motte                                   

Insekten sind vieles, vor allem aber sind sie schöne, ästhetische Wesen. Man denke an ihre zarten, feinen Glieder. Die schillernden Farben! Die glatten Oberflächen! Der seidige Schimmer von dunklen Flügeln!

Fruchtfliege                       betrunken. Wo sind‘n eigentlich die ganz’n Schmetterlinge, mhm? Wurd’n nich eingelad’n, was?

Motte                                 Ich bin doch da!

Fruchtfliege                       Nee, du bist eine Motte. Weinglas, Weinglas in der Hand – wer ist die Schönste im ganzen Land?

Motte                                 Motten sind genauso schön wie Schmetterlinge. Wir sind bescheidener und fliegen nachts, das ist alles. Schmetterlinge hingegen, pah! Die trinken sogar Blut, wussten Sie das? Und halten ihre Farben obszön ins Licht. Uns schlägt man tot, dabei tun wir gar nichts. Also, die meisten von uns jedenfalls. Nur ganz wenige unserer Arten knabbern hier und da an Ihren Kleidern oder an Ihrem Mehl. Und wir sind genauso pudrig und weich wie die Tagfalter. Fühlen Sie doch mal – das ist doch ein schöner Flügel, oder?

 

Multimediale Ausstellung: 

 

Der Gang ist in Stationen aufgebaut, durch die die Motte hindurchführt. Trotzdem bleibt es dem

Publikum offen, ob sie sich auch frei bewegen wollen.

1. Station:

DJ legt Insekten-Lieder auf – lockt damit das Publikum zu sich zur ersten Station

 

VWK I                                    Haben Sie sich auch schon gefragt, warum Schallplatten schwarz sind?

VWK II                                  Schwarz ist nicht zufällig die Farbe der Trauer. Die früheren Platten aus Schellack sind ein einziges Massengrab.

VWK I                                   Schellack wird aus Läusen gemacht.

VWK II                                  Lausiger Musikgeschmack klingt da gleich anders, was?

VWK I                                   Mittlerweile sind Platten aus Vinyl

VWK II                                  und der Schellack ist in unsere Süßigkeiten

VWK I                                   und Schminke

VWK I & VWK II                   abgewandert.

Fruchtfliege                          Vielleicht glänzt Ihr Kaugummi so schön, weil sich eine Laus drin spiegelt. Spieglein Spieglein in der Hand….

                                               Irgendwer Lust zu tanzen? Das hebt doch die Stimmung, oder? Nein, nicht? Na, kommen Sie. Oder ist Ihnen eine Laus über die Leber gelaufen? Mein Lieblingshit ist ja „Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt ne kleine Wanze…!“

 

2. Station:

Wespe bietet Superfood an

 

Motte                                   

Darf ich Ihnen die Wespe vorstellen? Sie hat eine exquisite Auswahl an Superfood für Sie zusammengestellt. Das ist IHRE Chance, sich auf unsere Kosten durchzuschlemmen.

Wespe                                   

Bedienen Sie sich! Probieren Sie! Ameisenkaviar. Madenchips. Crispy            

Mehlwürmer. Ja, nehmen Sie sich! Das sind wahre Proteinbomben. Essen Sie uns auf! Ja, richtig! Je mehr sie uns essen und je weniger Fleisch, umso besser für uns. All die Maisfelder, all die Futterproduktion, all die Wälder und Wiesen, die uns dafür genommen werden. Essen Sie uns, essen Sie weniger Fleisch! Hier probieren Sie: Barbecue-Heuschrecken, geräucherte Grillen...

 

3. Station:

Fotografien von Insekten mit besonderen Namen wie Agra Schwarzeneggeri (ein Käfer), Aleiodes shakirae (eine Wespe) oder Neopalpa donaldtrumpi (eine Motte) hängen an den Wänden

 

Motte                                   

Hier sehen Sie die Porträts von wahrhaft berühmten Persönlichkeiten! Agra Schwarzeneggeri, Sie verstehen sicher, wie es zu dem Namen kam. Er macht seinem menschlichen Pendant alle Ehre, finden Sie nicht? Was für Bizeps…! Arni fühlte sich übrigens sehr geschmeichelt. Man hat ihm ein Bild von Agra Schwarzeneggeri geschickt und er hat es signiert und dafür gedankt, dass man an ihn gedacht hat. Eine Kollegin von Agra heißt übrigens Agra katewinsletae.

Daneben sehen Sie Aleiodes shakirae. Diese Wespe setzt ihre Eier in Raupen aus, deren Hinterleiber sich dann so krümmen und drehen durch den Parasiten, dass sich die Forschung an den Bauchtanz einer gewissen Shakira erinnert fühlte.

Und nicht zu vergessen: Neopalpa donaldtrumpi! Eine Motte wie ich. Hat eine sehr charakteristische Kopfbedeckung, leicht blond. Leicht toupiert. Und sehr kleine Genitalien. Wie es zu dieser Namensgebung kommt, müssen Sie sich selbst beantworten…

 

Die Fruchtfliege liegt betrunken herum und lallt.

 

Fruchtfliege                      

Reeespeckt! Made im Speck… wir müssn ne Revull – tschuldigung, ne Revolution starten! Die Verhätnisse umdrehn, verstehta? He… was’n? Die Revullotion wartet nich! Hey! Scheiß auf Freundlichsein, was bringt’n das, hm? Ich opfa mich nich mehr für die Wissenschaft. Solln die Menschen sich doch selbst grillen mit ihrn Gerätn, ich mach da nich mehr mit, hey! Viva la revolution! Wir werden euch kriegen, ihr Menschlein, wir werdn euch jagen un‘ einsperren, wir werden euch beseitign. Ja, noch lacht ihr, werden wir ja sehn, wer am Ende übrich bleibt, ne?

Motte                                    räuspert sich. Das ist natürlich nicht so schön jetzt.

Fruchtfliege                          Viva la revolution!

Motte                                   

Ähm, ja, das ist mir jetzt etwas unangenehm. Na, jeder hat mal einen schwachen Moment, was? Auch die Fruchtfliege. Beachten Sie das bitte nicht weiter. Können wir bitte den Chor haben? Der Chor bitte!

 

Der Chor singt.

 

Chor                                     

Es waren [einmal] drei Käferknaben,

Die täten mit Gebrumm brumm brumm

 In Tau ihr Schnäblein tunken,

 Und wurden so betrunken,

 Als wär's ein Faß mit Rum.

 

Da haben sie getroffen an

Eine wunderschöne Blum Blum Blum,

Da wurden die jungen Käfer

Alle drei verliebte Schäfer

 Und flogen um sie herum.

 

Die Blume, die sie kommen sah,

War grade auch nicht dumm dumm dumm.

Sie war von schlauem Sinne

Und rief die Base Spinne:

„Spinn' mir ein Netzlein um!“

 

Die Base Spinne kroch heran

Und macht' die Beine krumm krumm krumm;

Sie spann ein Netz so feine

Und setzte sich dareine,

Und saß da mäuschenstumm.

 

Und als die Käfer kommen an

Mit zärtlichem Gesumm summ summ,

Sind sie hineingeflogen,

Und wurden ausgesogen,

Half ihnen kein Gebrumm.

 

Das Blümlein aber lachend sprach,

Und kümmert' sich nicht drum drum drum:A

o geht's, ihr lieben Käfer,

 So geht's, ihr lieben Schäfer,

Trotz allem Summ und Brumm!

 

 

4. Station:

Käferbilder / Psychotest

 

Motte                                   

Haben Sie schon die schönen Bilder dort drüben gesehen? Sind die nicht hübsch? So begnadet, diese künstlerisch begabten Käfer, nicht wahr? Das hier ist wirklich hohe Kunst und nicht so eine stumpfe Existenz wie sie mancher unserer Art auch führen, wie Sie nebenan im Kompost Club leider sehen können...

 

Die Motte zieht sich zurück während die beiden Veilchenblauen Wurzelhalsschnellkäfer schon wieder streiten.

 

Motte                                    Hier sind unsere seltenen Käfer. Ach sogar zu zweit. Ich dachte ihr wärt vom Aussterben bedroht?

I. VWK                                  Ja, von meiner Art gibt es nur noch mich.

II. VWK                                 Und mich!

I. VKW                                  Aber insgesamt gibt es sehr viele Käfer! Man nennt uns Kerbtiere, wir haben nämlich viel auf dem Kerbholz –

II. VKW                                 So ein Quatsch!

I. VKW                                  Unterbrich mich nicht immer!

II. VKW                                 Willst du den Test jetzt machen oder nicht?

I. VKW                                  Ja, wenn du mich endlich lassen würdest!

II. VKW                                 Dann mach ich das eben.

I. VKW                                  NEIN! Das ist mein Test! Also, wir machen jetzt einen Persönlichkeitstest mit Ihnen.

II. VKW                                 Wer sind Sie und wenn ja wie viele?

I. VKW                                  Nein, ernsthaft: Wir möchten mit Ihnen herausfinden, wie Sie wirklich sind! WER Sie sind. Was macht Sie aus? Wie steht’s um Ihre Psyche?

                                             Was für ein Typ sind Sie?

II. VKW                                 Schauen Sie sich bitte um, der Mensch hat bisher nur schlappe 350.000 Arten von Käfern entdeckt.

                                             Das heißt, jede vierte Arte auf diesem Planeten ist ein Käfer.

I. VKW & II. VKW                 Wir sind die wahren Weltherrscher!

I. VKW                                  350.000 – als ob das alle wären. Lächerlich. In einer dieser Arten finden Sie sich bestimmt wieder.

II. VKW                                 Hier der Mistkäfer – er geht einer elementar wichtigen Aufgabe nach und verarbeitet den ganzen Dreck, der anfällt –

I. VKW                                  Hier der Marienkäfer – sieht niedlich aus, hat es als Larve aber rüsseldick hinter den Hauern, wenn er alles auffrisst,

                                             was nicht bei Drei auf dem nächsten Grashalm ist.

II. VKW                                 Der Gefleckte Schmalbock sieht zwar bedrohlich aus mit seinem gelb-schwarzem Muster,

                                             ist in echt aber ein harmloses Schleckermaul und ernährt sich nur von Nektar.

I. VKW                                  Aber der hier ist Jäger: Der Goldpunkt-Puppenräuber frisst die Larven der anderen Käfer.

II. VKW                                 Ich bin, glaube ich, eher dieser hier – ein Glühwürmchen.

I. VKW                                  Wusst‘ ich’s doch! Du bist gar kein Veilchenblauer Wurzelhalsschnellkäfer!

II. VKW                                 Natürlich bin ich das! Unerhört! Ich meinte, nur vom WESEN her. Vom Naturell her! Mein Geist leuchtet, du hingegen bist schwer von Begriff!

I. VKW                                  Billige Ausrede!

II. VKW                                 Willst du sagen, ich sehe aus wie ein Glühwürmchen? Du spinnst ja!

I. VKW                                  Willst du andeuten, ich wäre eine Spinne?! Na, warte –

 

Der I. VKW jagt den II. VKW davon...

 

Die Motte findet Farbe und malt sich diskret die Flügel etwas bunter an. Betrachtet sich kritisch im Spiegel, merkt traurig, dass sie immer noch wie eine Motte aussieht.

 

Seidenspinner                      Ich finde dich sehr hübsch.

Motte                                    Ich bin viel zu grau.

Seidenspinner                      Aber nein, du bist fast schwarz. Ein edles dunkelgrau. Wie die Nacht.

Motte                                    Wenn ich wenigstens so schön weiß und flauschig wäre wie du!

Seidenspinner                      Ich wäre gerne so dunkel wie du. Schau, wir beide sind doch ein schönes Paar – du so dunkel und ich so hell.

 

Motte und Seidenspinner spielen einen schönen „Bühnentod“ um eine leuchtende Lampe auf.

 

Motte                                    Hach. Gibt es ein schöneres Ende für einen Falter als auf der Suche nach Erleuchtung zu sterben? In den Armen eines Seidenspinners?

                                             Aber noch ist es nicht soweit. Noch lebe ich! Kommen Sie mit, wir flattern weiter – es gibt noch so viel zu entdecken im Schutz der Dunkelheit!

 

 

III. Im Kompost Club

 

Wanze                      

Willkommen im legendären Kompost-Club! Wir wollen uns nun der wichtigsten Sache im Leben widmen: Der Paarung. Wir Insekten haben da Möglichkeiten, die Ihre Vorstellungskraft BEI WEITEM übersteigen. Und das beste Mittel im gemeinsamen Kampf gegen das Aussterben ist doch, dass wir Insekten uns fortpflanzen dürfen, nicht wahr.

Ameise                       kichert. Sie können sich bei uns übrigens auch noch so einiges abgucken…! 

Wanze                       Wir haben für Sie eine erotische Kabarett-Show mit der Ameise, der Libelle –

Kakerlake                 – die schon mit Isabella Rossellini gearbeitet hat  –

Wanze                      – und einer Wespe vorbereitet!  Die haben wirklich große Lust, also, ich meine, die sind sehr engagiert bei der Sache, nein, na, die machen das jetzt sicher sehr professionell.

Gottesanbeterin       Die Wespe ist aber nicht hier.

Ameise                     Hast du sie etwa aufgegessen?!

Gottesanbeterin       Pfff, als ob mir Wespen schmecken würden. Sie catert doch jetzt nebenan, die ist sich auch für nichts zu schade. Insectfood vertickern, tsss…

Wanze                     Und wo bitte ist die Libelle? 

Kakerlake                räuspert sich. Ich fürchte, die hat wieder die Biege gemacht. Isabella Rossellini hat sie wieder angefragt für einen Porno und das ist natürlich ein unschlagbares Angebot.

Wanze                    Oh nein, oh nein…! Das geht doch so nicht!

Engerling                Ich kann ja einspringen.

Ameise                   Ein frisch geschlüpfter Engerling?!

Engerling                robbt herbei. Warum nicht? Ich bin der jüngste Beweis für eine gelungene Paarung! 

Tausendfüssler       Ich als Fetischexperte wäre auch bereit – 

 

Die anderen Insekten stöhnen auf.

 

Tausendfüssler       mit Blick zu den Zuschauer:innen. Die könnten mir doch alle die Füße lecken! Wie herrlich wäre das! Mhm… alle tausend Füße!

Wanze                    peinlich berührt. Nein, nein, das hast du falsch verstanden. Bitte NICHT unsere menschlichen Gäste belästigen!

Ameise                   zischt. Ich gehe nicht mit den beiden in den Kompost, das war nicht so abgemacht!

Kakerlake               Ich könnte das auch übernehmen – 

Alle anderen           NEIN!

Kakerlake               Ich könnte euch stories erzählen. Wie die Rossellini mit der Libelle und dem Leuchtkäfer… Wer das wahre Vorbild für „Naked Lunch” war...

Alle anderen           NEIN!

Wanze                    Hilfe, können wir bitte die Tänzerinnen haben? Wo sind die bloß immer, wenn man sie braucht? Na, dann eben Musik! Musik bitte! SOFORT!

 

Ameise und Wanze diskutieren im Hintergrund stumm. Die Wanze setzt sich durch. Ameise geht beleidigt auf ihre Position im Kompost Club.

 

Der Chor singt „There was an old man in a tree“:

 

Chor                         

Bzzzz! Bzzzz!

Bzzzz! Bzzzz!

There was an Old Man in a tree

Who was horribly bored by a bee

When they said “Does it buzz?”

He replied “Yes, it does!

It’s a regular brute of a bee!”

Der Tausendfüßler, der Engerling und die Ameise räkeln sich im Komposthaufen. Sie schmiegen sich aneinander. Im weiteren Verlauf der Szene lässt sich der Tausendfüßler gerne mal die Füße lecken, die Ameise trägt ein hübsches Korsett und der Engerling übt sich in Bondage-Kunst.

 

Tausendfüssler                   zum Engerling. Magst du mir dann vielleicht die Füße lecken?

Engerling                             Nee, das ist mir echt zu hart.

Tausendfüssler                   Komm schon! Bitte, bitte! So extravagant ist das jetzt auch nicht. Das ist doch ein allgemein anerkannter Fetisch, oder nicht?

Engerling                             Es sind einfach zu viele, verstehst du nicht? Ich würde vor Erschöpfung tot umfallen, wenn ich dir alle tausend Füße lecke…

Tausendfüssler                   So viele habe ich doch gar nicht, es sind doch nur 680. Dann wenigstens ein oder zwei Hundert? Komm schon, Engerling!

Engerling                             Ich weiß nicht…

Tausendfüssler                   Hätte ich 680 Knie, würde ich dich auf diesen darum bitten! 

Engerling                             Ich stehe halt mehr auf Blumen, weißt du. Hübsche Blüten, zarte Knospen, weiche Blätter. 

Tausendfüssler                   Pah! Du denkst, Blüten sind hübsch, dabei halten Pflanzen einfach nur schamlos ihre Geschlechtsorgane in die Höhe.

Ameise                                Ach, wir Insekten sind doch noch viel krasser. Wenn du wüsstest, kleiner Engerling.

Engerling                             Na, erzähl! Erzähl! 

Ameise                                 

Kennst du schon die süßen, kleinen Bienen? Wenn die frisch geschlüpfte Königin zu ihrem Brautflug aufbricht, wird sie von mehreren Männchen begattet. Das ist für die erfolgreichen Männchen der letzte Flug, denn sie sterben beim Begatten. Ihr Genital explodiert. Macht einen Bienenpenis mit den Fingern nach, der dann explodiert. Die Königin hinterlässt folglich eine Spur toter Liebhaber auf ihrer Flugrunde. Bäm…! Bäm…! Bäm…! 

Tausendfüssler                   Pah! Das ist alles nichts gegen die Wanze. 

Wanze                                Was ist mit mir?

Ameise                               Oh ja, die Wanze, die ist, ja, die ist wirklich etwas Besonderes…

Engerling                            Was macht die Wanze denn?

Ameise                               Ihr Geschlechtsakt ist eine sexuelle Pfählung.

 

Die Ameise bohrt sich liebevoll, leicht anzüglich einen Finger in den Bauch.

 

Wanze                                   Das geht hier überhaupt niemanden was an. Das könnte ganz falsche Eindrücke von uns erwecken…!

Ameise                                  

Weißt du, der Wanzenmann sticht einfach an einer beliebigen Stelle durch den Körper der Wanzin hindurch und befruchtet sie. Die Männchen spritzen ihren Samen tatsächlich überall hin, in den Kopf, den Bauch, Rücken, sogar ins Herz. Vielleicht hier… oder auch hier… Oder dort – kaum zu glauben, was? 

 

Sie zeigt auch diese Bewegungen, verliert sich etwas in diesen Selbstberührungen.

 

Wanze                                  

räuspert sich. Wollt ihr nicht lieber tanzen? Wir wollten doch eine Varieté-Show der Arten zeigen… eine erotische, aber stilvolle Choreographie mit Wespentaille und Fühlern. Wo sind denn bloß die Tänzerinnen?

Ameise                                Zurück zur Wanze… mhm…

Tausendfüssler                   fummelt an der Ameise mitherum. Ja, sie sind sehr umtriebig, diese kleinen notgeilen Viecher…

Wanze                                 Das verbiete ich m–


Der Engerling knebelt und fesselt die Wanze mit seinen Bondage-Tüchern.

 

Ameise                                  

Und hier… mhmm… und hier… eine gute Stelle…mhm… Räuspert sich, zum Engerling: Nun ja. Wo war ich? Um diesen brutalen Stich zu überleben, haben die Weibchen im Laufe der Zeit weiche Körperöffnungen entwickelt. Ihre Form des Erduldens. Dummerweise ist der Wanzendolch ziemlich dreckig, voller Viren und Bakterien. Um nicht an einer Begattungsinfektion zu sterben, haben die Weibchen Immunkörper entwickelt.

Tausendfüssler                  

Dumm für die Männchen: Diese Immunkörper töten auch das frei umherschwirrende Sperma ab. Deswegen haben die Männchen Antikörper entwickelt, die dem Sperma beigefügt sind. Die Antibiotika der Männchen dienen nämlich den Weibchen auch noch als Jungbrunnen.

Engerling                            Wow!

Tausendfüssler                   Du denkst, das reicht an obszönen Details? Weit gefehlt. 

Engerling                            Ich will alles wissen!

Tausendfüssler                   Aber dafür musst du mir wenigstens EIN Füßchen lecken.

Engerling                            Na, gut…

 

Der Engerling robbt zum Tausendfüßler und lutscht etwas lustlos an einem Fuß herum.

 

Tausendfüssler                  

Oh, das ist gut, oh ja…! Halt dich fest: Wanzen haben bis zu 200 Mal pro Tag Sex. Dabei durchbohren die Männchen aber keineswegs nur die Weibchen, nein, sie penetrieren in der Hälfte der Fälle andere Männchen. Ein Fehler könnte man meinen, aber dem ist nicht so. Durch den gleichgeschlechtlichen Verkehr tragen die Männchen auch das Sperma anderer Männchen in sich. Wenn sie sich dann mal mit einem Weibchen paaren, geben sie dieses fremde Sperma gleich mit weiter. 

Engerling                             Warum tut ihr das? 

Ameise                                Wir wissen es nicht. 

Engerling                             Vielleicht haben sie einfach gerne Sex? 

Ameise                                

Schleierhaft ist außerdem, warum so viele Männchen Pseudo-Wanzinnen-Vulven auf ihrem Rücken tragen. Aber fortpflanzungstechnisch haben sie keinen Vorteil davon, von Männchen begattet zu werden und fremde DNA weiterzugeben. 

Tausendfüssler                   Vielleicht handelt es sich um Körperschmuck?

 

Sie schmiegen sich lustvoll aneinander. Die Wanze kann sich endlich befreien und geht wütend auf den Engerling los.

 

Engerling                             Zu Hilfe! Die Wanze will mich durchbohren mit ihrem Schwanz!

Wanze                                

reißt sich zusammen. Das – das – stimmt doch gar nicht. Ich – ähm, wollte dich nur umarmen, ja genau. Umarmen. Wanzen kuscheln nämlich gerne! Wir sind eigentlich sehr soziale Tiere. Viel besser als unser Ruf.

Ameise                                 Der Kotgeruch der anderen Wanzen lockt sie an. Entzückend, nicht wahr?

 

Stromausfall.

 

Ameise                               Huch! Also, das – das war so eigentlich auch nicht geplant.

Tausendfüssler                   im Dunklen. Zu Hilfe! Zu Hilfe! 

Ameise                               Ich mach doch gar nichts.

 

Im Dunklen brennt eine Zigarette in einem Aschenbecher. Die Kakerlake mischt sich unter das Publikum und spricht einzelne mit verführerischer Stimme an. 

 

Kakerlake                           

Psst, Sie… ich sag Ihnen was… die tun hier so abgeklärt, mit ihrem Kompost-Club hier. Tun ganz versaut, haben aber keine Ahnung. Ich hingegen… pscht… hören Sie… ich kann Ihnen Stories erzählen! Von Insekten, die mit Menschen… oh ja! Hey Sie da, kommen Sie mal näher… diese Nacht mit Andy. In seinem Bad. Genau, Andy Wahrhol. Der stand auf Kakerlaken. Er nahm uns alle auf. Hörte er unser Klacken und Rascheln in der Nacht, wurde ihm ganz blümerant. Andere beten den Skarabäus an, Wahrhol betete ZU MIR.  Und wenn er nachts nicht einschlafen konnte, trippelte ich leise zu ihm hin und küsste ihn mit meinen Fühlern. Und leckte meine Füße auf seinem Mund. Ließ ihm Ideen auf die Zunge fallen und zog ihn in den samtigen Untergrund… Klick, klack, klick, klack…psst Sie da, kommen Sie doch mit… wir haben hier auch noch ganz andere Räume… feuchte Keller...

 

Das Licht geht wieder an. Die Kakerlake ist weg.

 

Wanze                               

Keine Sorge, das war nicht ernst gemeint. Vergessen Sie einfach, was die Kakerlake erzählt hat. Die sollte gar nicht auftreten. Ist wohl wieder durch die Türspalte gekrochen. Ah, da unten auf der Wiese hat sich das tanzenden Insektenvolk formiert. Wenn sie nicht zu uns kommen wollen, gehen wir doch zu ihnen. Folgen Sie ruhig unserer Gottesanbeterin, sie wird Sie schon nicht fressen. Vielleicht nur ein paar heikle Vorhersagen treffen.

 

Gottesanbeterin               

Sie werden im Schlaf kommen. Das wird ein süßes Erwachen geben.

Sie werden aus Versehen kommen. Ich rate Ihnen, sich bald einen neuen Duschkopf zu besorgen. Der hat nämlich eine ganz besondere Strahlkraft.

Sie werden die nächsten vier Mal zusammenkommen. Und beim fünften Mal zuerst.

Sie hier sollten mal wieder Hand anlegen. Ich sehe da großes Potential. Seien Sie nicht so schüchtern, das Glück ist ein Handjob und zum Greifen nah.

Die Gottheit, die ich anbete, heißt Fruchtbarkeit. 

Sie werden bei einem Lachanfall kommen. Kein Scherz. Und das auch noch öffentlich.

Es wird beim Nachtisch passieren. Auf dem reich gedeckten Tisch. 

Die Gottheit, die ich anbete, heißt Dionysos. 

Sie werden den klassischsten aller Höhepunkte haben. Preludio – Intermezzo – Crescendo!

 

Wanze                                   Ah! Da sind sie nun endlich unsere tanzenden Freundinnen. Die Schönheit der Fortpflanzung!

 

Die Tänzer:innen beginnen mit ihrem Fortpflanzungs-Tanz.

 

Wanze                                 Bravo! Bravo!

Nagekäfer                          

Ach ja, das erinnert mich alles an damals... Da gab es noch viel Holz vor der Hütte und verbotene Nischen zu erkunden. Da hab ich das scheuste Trippeln zaghafter Käferinnen mit pastellig gescheckten Rücken gehört und sie alle gefunden. Na gut, das hat dann nie geklappt, es war wie verhext. Aber es hat mich ja keiner aufgeklärt, es hieß immer nur, klopfen, klopfen, bis eine antwortet und hops, schnell auf den Rücken springen und los geht’s. Woher sollt ich denn wissen, dass ich jedes Mal falsch herum drauf saß und dass Arsch auf Arsch muss? Aber jetzt hab ich’s begriffen, nur sind sie alle schon lange weg. Kommen Sie mit, husch, husch! Vielleicht finden wir ja noch ein Weibchen für mich. Ein letztes!

 

Der Tanz wird abrupt unterbrochen von Rasenmähern, die die Tänzer:innen niedermähen.

 

Ameise                                 

Sehen Sie das? Oh je, da sind Sie wieder! Die mähen alles nieder. Der Sensemann ist eine seelenlose Maschine, die alles zerstört, was sich ihr in den Weg stellt! Kommen Sie schnell mit, wir müssen das Massaker beenden. Warum lässt denn bloß niemand das Gras in Ruhe wachsen? Warum muss immer alles kurzgehalten werden? So viele Leben, zahllose Freunde, die einen Kopf kürzer gemacht wurden, zahllose Pflanzen, die nie zum Blühen kommen… kommen Sie schnell! Wir müssen doch was tun! Wir können doch nicht einfach zusehen!

 

Veilchenblauer Wurzelhalsschnellkäfer I kommt atemlos angerannt.

 

I.VWK                                  

Die Fruchtfliege ist gestorben! Kommt schnell! Es war wohl zu viel für ihr kleines, rotweingetränktes Herz. Wir wollen sie alle gemeinsam in den Garten bringen, wo sie ein Vogel fressen kann. Kommen Sie mit mir.

 

Wanze                                  

Meine Damen und Herren, wir müssen unsere Führung leider unterbrechen, das ist mir wirklich unangenehm. Aber auch einer Fruchtfliege gebührt ein angemessenes Ende.

 

Die anderen, anwesenden Insekten scharren traurig mit den Füßen oder fummeln befangen an ihren Fühlern herum.

 

Nagekäfer                          

Was soll ich denn sagen in dieser schlimmen Zeit der Pestizide, wo einer nach dem anderen von uns fällt. Ich bin hier der letzte meiner Art. Und es geht auch bei mir dem Ende zu, ich spür’s in den Beinchen. Die arme Fruchtfl- Er lauscht. Oh! Da war ein Klopfen, oder? Ein zweiter Nagekäfer! Vielleicht bin ich gar nicht der Letzte meiner Art! Und auch noch weiblich, das spür’ ich! Er lauscht. Ahhh! Hier muss ich lang, ganz sicher, da war was, Klopf auf Holz, aber doch, doch, sicher, da war was. Komm her, du schönes Ding, ich bin zwar alt und debil, aber zeugen kann ich noch. Was hätte ich nicht alles an Nachkommen hervorgebracht, hätt’ ich schon früher eine Dame getroffen – das wäre eine respektable Anzahl geworden. Glaub mir, klopf weiter, das wären prächtige gescheckte Nagekäfer geworden, die schönsten, die man sich vorstellen kann… Drum komm zu mir. Ich steig dir auf den Rücken, dann kannst du sehen wie schwer die Samen sind, die ich für dich trage.

 

Wanze                                  Aber doch nicht jetzt, alter Knabe! Wir haben doch Besuch.

Nagekäfer                           

lauscht. Hier entlang, ganz sicher. Es wird lauter, ja! Da ist es wieder gewesen. Es wird warm... wärmer... Schritt für Schritt, ich finde dich, versprochen und dann wird alles besser. Wir retten im Zweigang unsere Sippe. Wir sind die letzte Hoffnung, wir machen den Nagekäfer wieder groß und bevölkern bald den Eichentisch im Flur. Zusammen werden wir das schaffen mit unseren Heerscharen an Nachkommen. Hörst du mich? Hier komme ich! 

Wanze                                 Komm sofort zurück! Wir gehen doch zur Beerdigung!

 

Der Nagekäfer läuft davon.

 

Der Weg zur Beerdigung wird vom Seidenspinner geführt.

 

Seidenspinner                    

Manchmal wache ich nachts auf, liege auf meinem Maulbeerbaumblatt und frage mich, wer ich bin. Ein Kokon? Eine Raupe? Ein Schmetterling? Und wohin gehen meine früheren Körper? Bin ich noch die Hülle, die ich abstreife? Verlasse ich mich selbst und kann ich mich auf meine Erscheinung verlassen? Mich fängt kein Spinnennetz auf, wenn ich mich verliere. 

Vielleicht sollte ich pilgern gehen. Meinen Sie, das würde helfen? Auf der Seidenstraße... Der Passionsweg meiner Vorfahren. Das Opfer größer denken... Ja, alles hängt zusammen. Der Planet braucht mich – mich kleinen Falter mit Identitätsproblemen! Klar, ja, die Pflanzen, die müssen bestäubt werden, das stimmt schon. Und die größeren Tiere müssen genährt werden, klar. Und die ganzen Abfälle aufgefressen werden. Der große Kreislauf – Sie haben ja Recht. Ich sollte das positiver sehen. Nicht das falsche Licht anbeten. Sondern die alten Zusammenhänge erinnern und den Faden neu aufgreifen.

III. Im Innengarten

 

Versammlung aller. Der Chor singt „Die Made“.

 

Chor                                     

Hinter eines Baumes Rinde

wohnt die Made mit dem Kinde.

Sie ist Witwe, denn der Gatte,

den sie hatte, fiel vom Blatte.

Diente so auf diese Weise

einer Ameise als Speise.

 

Eines Morgens sprach die Made:

„Liebes Kind, ich sehe grade,

drüben gibt es frischen Kohl,

den ich hol'. So leb denn wohl.

Halt! Noch eins, denk, was geschah,

geh nicht aus, denk an Papa!“

 

Also sprach sie und entwich. —

Made junior jedoch schlich

hinterdrein, und das war schlecht,

denn schon kam ein bunter Specht

und verschlang die kleine fade

Made ohne Gnade. — Schade.

 

Hinter eines Baumes Rinde

ruft die Made nach dem Kinde.

 

Wanze                                  

Wir haben uns hier versammelt, um der so plötzlich verstorbenen Fruchtfliege zu gedenken. Der Veilchenblaue Wurzelhalsschnellkäfer, eine Koryphäe hier in der Region, wird eine Trauerrede halten. 

II. VWK                                 räuspert sich, will anfangen. Die Fruchtfliege –

I. VWK                                  Unerhört! Ich soll diese Rede halten! Erkennt ihr mich nicht? Ich bin doch euer Veilchenblauer Wurzelhalsschnellkäfer! 

II. VWK                                 Nein, ICH bin der Veilchenblaue Wurzelhalsschnellkäfer! Jeder kennt mich. Ich komme nur an den Ederseehängen vor. Gleich hier um die Ecke.

I. VWK                                  UND an den nördlichen Ederseehängen. Auch gleich um die Ecke.

II. VWK                                

Das stimmt nicht! Du tust nur so, als wärst du ich! Und sie kommen dir nicht auf die Schliche, weil sie dich zur Untersuchung nicht töten dürfen, denn dann wäre MEINE Art ja vielleicht ausgestorben. Sie wissen nämlich nicht, dass du kein echter Veilchenblauer Wurzelhalsschnellkäfer bist.

I. VWK                                   Ich bin echt. Du bist die Fälschung! Du tust so, als wärst du ich! 

Motte                                    Die Fruchtfliege war eine hochgeschätzte Vertreterin unserer Art, die viele Opfer gebracht hat und – 

II. VWK                                 Ich? Nein, du!

I. VWK                                   Nein, ich bin ich, aber du bist nicht du!

II. VWK                                 Wie? Nein, ich bin nicht du, du bist nicht ich!

I. VWK                                  Wenn ich nicht ich bin, wer bin ich denn dann?

II. VWK                                 Das weiß ich doch nicht. Das wissen vielleicht die Menschen, aber sie dürfen dich ja nicht fangen. Denn falls du doch ich bist, dann wäre ich ja ausgestorben. 

I. VWK                                   Ich sterbe aus, wenn sie dich fangen? Hä?

Motte                                    Könnt ihr das bitte später klären? Wir sind hier auf einer Trauerfeier! 

Wespe                                  

Und wer ist schuld daran, dass die Fruchtfliege tot ist?! Das bist ja wohl du. Du und die Wanze, mit euren tollem Rettungsplan. Das war einfach zu viel für die Gute.

II. VWK                                 Das war eh ein dummer Plan.

Wanze                                  Der Plan war super, aber ihr habt alles falsch gemacht!

Ameise                                 ICH habe gar nichts falsch gemacht – ich habe mich sogar dazu herabgelassen, mit dem Engerling und dem Tausendfüßler in den Kompost Club zu gehen. 

Kakerlake                             ICH habe Einblicke in meine intimsten Begegnungen mit Menschen gegeben!

Motte                                   

Ihr hättet euch alle schon etwas mehr Mühe geben können! Wir beide haben das jahrelang vorbereitet und euch auserwählt die Insekten von ihrer schönsten Seite zu zeigen.

Gottesanbeterin                   Dann hättest du auch den Schmetterling einladen müssen. Und das Glühwürmchen. Und den Marienkäfer.

II. VWK                                Dann hätte die Motte aber nicht im Mittelpunkt stehen können.

Motte                                  

Solche Unterstellungen verbiete ich mir! Ihr wurdet alle nach rein objektiven Kriterien ausgewählt. Und die Choreographien, die Einblicke in unser Dasein – die waren akribisch geplant, aber ihr… ihr wolltet das eigentlich gar nicht! Ihr habt das nicht ernst genommen.

Seidenspinner                     traurig. Aber ich habe mir doch in den seidenen Abgrund schauen lassen!

Motte                                   Dich meine ich ja auch nicht.

Wanze                                 Ach, jetzt hat es wieder an meiner Gruppe gelegen.

Ameise                               Wir sind ja wohl nicht ‚deine‘ Gruppe.

Engerling                            Ich gehöre nur mir selbst.

Motte                                  Genau das ist das Problem! Wir hätten diesen Abend gemeinsam stemmen müssen. Stattdessen habt ihr Spinner einfach wieder nur euer Ding gemacht.

Wespe                                Unerhört! Mit den Spinnen haben wir ja nun wirklich gar nichts zu tun!

Nagekäfer                           

kommt zurück, schluchzt. Ich – ich – ich habe mir solche Hoffnungen gemacht! Aber es war gar kein Weibchen, das da in der Ecke geklopft hat! Dort saß nur eine ältere Menschenfrau und schlief. Und in ihrer Brust, da hat’s geklopft. Nicht ihr Herz, nein, das kenne ich ja, es war viel mechanischer, so, wie unser Klopfen.

Wespe                                 Das war ein Herzschrittmacher, du Depp.

 

Der Nagekäfer heult auf vor Frustration.

 

Gottesanbeterin                Sie führen uns eben doch alle ins Verderben, diese Menschen und ihr technischer Fortschritt.

Nagekäfer                         

Welch traurige Ironie, man nennt uns Totenuhrkäfer und nun bin ich die Totenglocke meiner eigenen Art. Wer sich den Scheiß ausgedacht hat, kann ich mir denken. Menschen eben. Nur weil sie erst der Tod lehrt, zu schweigen und hinzuhören, denken sie, wir kommen, um die sterbenden Menschen zu holen. Was zum Teufel interessieren mich ihre Toten? Ich klopfe so oder so, ob man mich hört oder nicht. Ich hab genug eigene Probleme, da kann ich mich nicht auch noch um irgendwelche Seelen scheren. Nee, ihren Teufel sollen sie sich mal schön selbst spielen, ich bin doch hier nicht der Kasperle.

 

Die Insekten wenden sich langsam zum Publikum zu, sehen die Menschen an.

 

Engerling                            Vielleicht ist es gar nicht unsere Schuld, dass hier heute so viel schiefgelaufen ist?

Tausendfüssler                   Solange Menschen denken, dass Insekten nicht fühlen; müssen Insekten fühlen, dass Menschen nicht denken.

Motte                                  Wir haben uns nämlich wirklich bemüht. 

Ameise                               Ich habe mich nämlich wirklich bemüht.

Wanze                                Dann liegt es also nicht in unserer Hand, ob wir gerettet werden? 

Tausendfüssler                   Das wird mir jetzt irgendwie zu opfermäßig.

Wespe                                Dann mach halt die Fliege. 

II. VWK                               Ich habe um ehrlich zu sein, nie daran geglaubt, dass wir die Menschen mit so ner Show hier erreichen.

Mücke                                Aber sie hören doch alle ganz aufmerksam zu, die Menschen hier.

I. VWK                               Aber was davon hören sie wirklich? 

Seidenspinner                   Was davon nehmen die mit, wenn sie gleich davonfliegen? 

Gottesanbeterin                 Was haben sie verstanden?

Motte                                  Was ändern sie danach? 

Tausendfüssler                   Vielleicht schlagen sie jetzt keine Fruchtfliegen mehr tot?

II. VWK                               Fruchtfliegen gibt es genug, ICH bin vom Aussterben bedroht.

I. VWK                                Nein, ich!

Mücke                                Vielleicht mähen sie ihren Rasen endlich nicht mehr so oft.

Nagekäfer                          Vielleicht lassen sie mir ein schönes morsches Stück Holz übrig und schalten die Herzschrittmacher aus? 

Wespe                                Irgendwann essen sie womöglich weniger Fleisch, nur um sich selbst zu retten.

Engerling                            Aber wann?

Ameise                               Aber wann?

 

Die Wanze zuckt resigniert mit den Schultern und zuckelt davon.

 

Motte                                    Vielleicht haben wir ihnen ja wenigstens einen Floh ins Ohr gesetzt.

 

Die Insekten gehen leise murmelnd ab. Der Chor singt zum Abschied „Der Floh“:

           

Chor                                     

Es ist ein Tierlein auf der Welt

Hält sich gar gern zu`n Weiben.

Wiewohl es ihnen nicht gefällt,

Kann`s doch kein Mensch vertreiben.

Es beißt und sticht, es hilft auch nicht,

Wenn man sich fest tut reiben.

Es ist ein Floh, dess` sein nicht froh

Die jung und alten Weiben.

 

Ein Floh, ein Floh, ein Floh, ein Floh, ein Floh, ein Floh, ein Floh,

der beißt und sticht, der beißt und sticht,

Er zwickt und pickt, er zwickt und pickt,

Er stupst und hupft, er stupst und hupft,

Er kreucht und weicht, er kreucht und weicht,

Er kitzelt und bitzelt, er kitzelt und bitzelt,

Er krabbelt und zappelt, er krabbelt und zappelt:

Die Maidlein und die Weiblein nicht sicher vor ihm bleiben.

 

Die Weiber haben große Pein

Von Flöhen über d`Maßen.

Bei ihnen findt man groß und klein,

Kein Ruh` sie ihnen lassen.

Im Hemd und Kleid tun`s ihnen leid,

Im Haus und auf der Gassen,

Im Pelz und Rock sind manches Schock

Und plagen`s auf der Straßen.

 

Wenn d`Weiber in die Kirche gehen

Oder zur Gastung wöllen,

So tun sie erst am Fenster stehn

Und fangen manchen Gsellen.

Mit großem Fleiß auf manche Weis`

Den Flöhen sie nachstellen,

Und wenn sie`s dann erhaschet han,

So tun sie`s weidlich knellen.

 

Ende.

 

....